Dufte Sache unterm Rathausdach
Kleine Stiefel liegen in der Kiste. In weiß und gelb. Larissa Batt vom Stadtmuseum zieht den Karton unter dem Tisch hervor, schlägt die Papplaschen auf – und ein angenehmer Duft verbreitet sich im Rathausturm. „Die kleinen Deko-Stiefel sind bei Besuchern beliebt.
Gerade jetzt zur Weihnachtszeit ist es eine nette Geschenkidee“, sagt die Mitarbeiterin.
Die Miniaturvarianten des Döbelner Riesenstiefels sehen nicht nur gut aus, sondern duften, denn sie bestehen aus Seife. Und auch das ist kein Zufall. Denn ein wichtiger Teil von Döbelns Industriegeschichte fußt buchstäblich auf der Produktion der aromatischen, pflegenden und säubernden Produkte.
„Vor 100 Jahren expandierte die Seifenproduktion in Döbeln mit dem Bau des neuen Fabrikgebäudes in der Rößchengrundstraße. Um 1900 war die Seifenfabrik von Hermann Otto Schmidt ein wichtiger Arbeitgeber und Teil der industriellen Entwicklung Döbelns zu dieser Zeit“, erklärt Kathrin Fuchs, Leiterin des Stadtmuseum.
Vor 140 Jahren begann die industrielle Seifenproduktion in der Stadt – damals übernahm Hermann Otto Schmidt die Seifenfabrik von Eduard Lippmann. In den Folgejahren steuerte das Unternehmen auf Wachstumskurs. Die Anzahl der Mitarbeiter wuchs auf 90 im Jahr 1921. Fritz Schmidt, Sohn von Hermann Otto, wurde alleiniger Gesellschafter und zog in einen Neubau an der Rößchengrundstraße, um dort Kern- und Schmierseifen, Waschpulver sowie Fein- und Spezialseifen herzustellen.
In den Folgejahren wechselten die Firmierungen zwar, der Standort blieb allerdings bis zur politischen Wende 1989/1990 bestehen. Und die Seife machte Döbeln über die Grenzen der damaligen DDR hinaus bekannt. „Unter dem Markennamen 'Decenta' und ab 1981 'Florena' wurden in der Rößchengrundstraße Pflegeprodukte verschiedener Couleur gefertigt: Wasch- und Rasierseifen, Seifennadeln und natürlich auch Luxusseifen gingen vom Ostbahnhof aus ins ganze Land“, zeigt Kathrin Fuchs auf.
Ein Teil der Dauerausstellung im Stadtmuseum beschäftigt sich mit Döbelns Industriegeschichte und damit auch der Seifenproduktion. Neben den ausgestellten Exponaten befinden sich noch fast 100 Decenta-Seifen und Florena-Artikel im Depot des Stadtmuseums. Darunter klangvolle, exotische Produkte namens „Saphir“ bis hin zu pragmatisch klingenden wie „Euskin Schönheitsseife“. Es ist eine Zeitreise durch Döbelns Geschichte, die unter anderem anhand von Verpackungen und Werbeslogans auch Veränderungen festhält. Assozieren Werbetexter heute Seife beispielsweise mit einem aufregenden Ritt über die Wellen des Ozeans, brachten die Kreativen des VEB Decenta Döbeln den erhofften Effekt von „Euskin Schönheitsseife“ eher nüchtern auf den Punkt.
So ist auf der Verpackungsrückseite zu lesen: „Der Alterungsprozess der Haut ist aufzuhalten“.
Zu den musealen Beständen gehören auch Seifenpressen. 28 verschiedene Modelle besitzt das Stadtmuseum. „Der Grundstock stammt aus dem ehemaligen Harthaer Industriemuseum. Wir sammeln weiter und freuen uns über jedes neue Stück. Denn die Aufgabe eines Museum ist, zu sammeln, zu bewahren und damit zu überliefern“, sagt Kathrin Fuchs.
Der kleine Seifenstiefel ist nicht die einzige Erinnerung an die Döbelner Seifengeschichte.
Im nördlichen Teil des Gewerbegebietes Döbeln-Ost trägt eine Straße den Namen des Seifenproduzenten Hermann Otto Schmidt. Damit bleibt dieser Teil der Döbelner Industriegeschichte im Stadtbild präsent.
Den aromatischen Duft von Seifen, wie er Passanten noch zu DDR-Zeiten im Bereich der Rößchengrundstraße in die Nasen gedrungen sein soll, gibt es allerdings nur noch im Museum. (Text: Andy Scharf)
Zeitzeugen: Im Depot des Museums lagern nicht nur alte Seifen made in Döbeln, sondern auch historische Walzen und Druckplatten aus der früheren Produktion. (Foto: Detlev Müller)
Decenta-Seife - hergestellt in Döbeln (Foto: Detlev Müller)
Museumsmitarbeiterin Larissa Batt und Praktikantin Dilara Fee Bernhardt ergänzen im Museum im Rathausturm die Dauerausstellung zur Döbelner Seifengeschichte. (Foto: Detlev Müller)
Firmengeschichte
1876
Hermann Otto Schmidt übernimmt die Seifenfabrik von Eduard Lippmann in Döbeln am Niedermarkt (heute Niedermarkt 2) und gründet die „Dampfseifen- und Glycerinfabrik“. Diese stellt vor allem hygienische Seifenblätter und Kernseifen her.
1903
Die Firma zieht in die Rößchengrundstraße, wo Fritz Schmidt 1921 alleiniger Gesellschafter der Firma ist.
Erweiterung der Produktion im Neubau in der Rößchengrundstraße.
Beschäftigte: 90
Produktion: Kern- und Schmierseifen, Waschpulver, Fein- und Spezialseifen
1937
Nach dem Tod von F. Schmidt übernimmt die Erbengemeinschaft die Firma (Frau Fanny Schmidt und die beiden Söhne Hans
und Werner Schmidt).
1946
Die Firma wird in Abwesenheit der Geschäftsführerin Fanny Schmidt (befand sich als politischer Häftling im Zuchthaus Bautzen) auf die Liste A der Firmen, die durch Volksentscheid in das Eigentum des Landes Sachsen übergegangen sind, gesetzt. Im Oktober erhalten die Mitinhaber Hans und Werner Schmidt ihre Geschäftsanteile vom Land Sachsen zurück.
1948
Durch einen Verwaltungsbescheid werden die Geschäftsanteile von Hans und Werner Schmidt im Grundbuch und Handelsregister wiederrechtlich gelöscht.
Überführung in Volkseigentum - Name: VEB Decenta Döbeln
1981
Zusammenlegung der Betriebe VEB Decenta Döbeln und VEB Florena Waldheim zum VEB Florena Döbeln-Waldheim
1991
Nach dem Eignungsvertrag erhält die Familie Schmidt das Vorkaufsrecht für den Erwerb der Firma. Auf Grund des hohen Preises und der Altlasten konnte das Vorkaufsrecht nicht in Anspruch genommen werden.
1992
Die Firma wird erneut privatisiert in Florena Cosmetic GmbH Waldheim.
07.12.1992
Zu Ehren von Hermann Otto Schmidt wird im Gewerbegebiet Döbeln-Ost eine Straße „Hermann-Otto-Schmidt-Straße“ genannt.